Die Kombination von Kunst und Technik begleitet die Entwicklungsgeschichte der Uhr von den Anfängen im 15. Jahrhundert bis heute. Von den großen Stand-Pendeluhren über die großartigen französischen Bronzeuhren (10) bis zu den Schwarzwalduhren mit ihren bewegten Figuren wurde stets versucht, aus dem „Technikobjekt Uhr“ ein Kunstwerk zu gestalten. Bis zur Einführung der Schwingpendeluhren bildeten solche kombinierte Uhren ein mehr oder weniger fest verbundenes, statisches Objekt: eine Uhr, eingebaut in ein Gehäuse, das mit Figuren verziert war. Bewegung war hier nicht (mit Ausnahme des Uhrwerks) zu sehen, da das Pendel dieser Uhren häufig auch noch im Gehäuse versteckt war. Insofern wurde bei diesen Uhren die Uhr als originär technisches Gerät vorrangig zum Kunstobjekt.
Bei der Schwingpendeluhr ist dies anders: hier wird eine deutlich bewegte, schwingende Uhr auf ein statisches Kunstobjekt gehängt und der Blickfang des entstehenden Objektes ist eindeutig die Uhr und erst nachrangig die Kunstfigur.
Wenn man die Eindimensionalität der Betrachtung verlässt, stößt man unmittelbar auf das darunter liegende Problem der Vereinbarkeit von Kunst und Technik.
So muss man auch die Schwingpendeluhren im Kontext ihrer Entstehungszeit sehen.
Der an dieser Stelle üblicherweise beispielhaft erwähnte Leonardo Da Vinci, der zweifelsfrei ein Genius Universalis war, stellte noch alle seine technischen Zeichnungen in einer Zwischenform aus kunstvoller Grafik und Technikbeschreibung dar. Es ist hier zu berücksichtigen, dass zurzeit Leonardos der Ausbildungsweg auf dem Gebiet der Technik bis zum Erreichen der Grenze zum „Neuland“ und damit zum Beginn der Kreativität ein sehr kurzer war. Die Möglichkeit, Künstler und Ingenieur gleichzeitig zu sein, war damit ohne weiteres gegeben.
Bereits zur Zeit von Christiaan Huygens – im Bereich der Uhren bestens bekannt und deshalb hier als Beispiel gebracht – stellte sich diese Situation ganz anders dar. Der technische Fortschritt hatte es zu dieser Zeit bereits unmöglich gemacht, die Grenzen des Bekannten und damit zur eigenständigen, kreativen Leistung auf beiden Gebieten aufgrund vollständiger Ausbildung zu erreichen. Immerhin war es noch möglich, das gesamte Gebiet der Technik und Physik zu überschauen. Damit war es Huygens möglich, die Pendelschwingung zu analysieren, für eine bestimmte Anwendung mathematisch zu vereinfachen und damit zu berechnen, sowie sie technisch anzuwenden.
Obwohl aber Huygens bereits das Phänomen der gekoppelten Schwingungen beobachtete (11), war ihm eine mathematische Bearbeitung dieser Beobachtung noch nicht möglich.
Zu Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Schwingpendeluhren konstruiert wurden, waren Kunst und Technik bereits unterschiedliche Wege gegangen und hatten sich weit voneinander entfernt. Handlungsweisen und Zielsetzungen beider Gebiete waren unterschiedlich bis gegensätzlich. Frühe Spezialisierung im Ausbildungsweg der Menschen war notwendig geworden, um überhaupt Beherrschung eines Teilgebietes erreichen zu können. Somit bildeten sich auch bereits in frühem Alter Auftrennungen in Begabungsgruppen unter den Oberbegriffen künstlerisch oder technisch heraus. Die unterschiedlichen Zielsetzungen der beiden Gruppen lassen sich in konträren Begriffen ausdrücken:
Unikat - Reproduzierbarkeit
Verlassen des normierten Raumes – Normierung
zweckfreies Schaffen – zweckbestimmtes Denken und Handeln
usw.
Eine Vereinbarkeit der beiden genannten Gruppen ist daher kaum vorstellbar, trotzdem versucht Junghans, sowie andere Hersteller auch, hier eine Brücke zu schaffen.
Was ergibt sich nun hieraus für scheinbar so simple Objekte wie einer Uhr auf einer Kunstgussfigur?
Es ist durchaus nachvollziehbar, dass ein künstlerisch tätiger Mensch die Kombination eines Kunstobjektes mit einem alltäglichen technischen Gebrauchsgegenstand ablehnt, wohingegen ein technischer Mensch die Kombination eines technisch genialen Werkes mit einer schlichten, zweckmäßigen Aufhängung vorziehen würde. In der auf die Kunstperiode des Jugendstils der Jahrhundertwende folgenden Schaffensperiode des Art Deco wurde genau dieses zum Inhalt einer neuen Kunstrichtung, die einen großen Siegeszug durch Europa antrat.
Die folgenden Bilder sollen die Gegensätzlichkeit der künstlerischen und der technischen Aspekte verdeutlichen.
Es sind gegenübergestellt: eine Salome von Franz Iffland als Beispiel einer ausdrucksstarken Figur im reinen Jugendstil und das Uhrwerk einer Mysterieuse mit Kurzpendel und Federgehäuse, der sichtbare Ausdruck künstlerischen Schaffens gegenüber dem eher versteckten Ergebnis langwieriger Konstruktionstätigkeit und empirisch gefundener Wirkungsweise.
Darunter ein Merkur von Giovanni Di Bologna aus der späten Renaissance des 16. Jahrhunderts gegenüber den Differentialgleichungen, die die gekoppelte Schwingung zweier Pendel, so wie sie die mysterieuse Uhr in Bewegung halten, beschreibt.
Das hier Dargestellte entzieht sich definitiv jeder Bewertung. Die „Schönheit“ einer mathematischen Gleichung erschließt sich sicher nur einem Fachmann, aber das ist mit der “Schönheit“ einer Statue nicht anders, auch wenn viele Menschen dies gerne anders beurteilen würden.